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Quer gedacht - Meinungen und Hintergründe

Demokratischer Sozialismus

veröffentlicht von V. Ammer am 12.11.2009
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Ein Standpunkt von V. Ammer


„Zweihundert Jahre nach seinem Entstehen ist unübersehbar, dass sich Sozialismus nicht auf eine einfache Definition reduzieren lässt.“ (Michael Brie / Christoph Spehr http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/kontrovers-0801.pdf)


„Das Wort Sozialismus ist vieldeutig geworden und für die einen mit positiver, für viele aber auch mit negativer Bedeutung besetzt. Wer sich heute als Sozialist bezeichnet, muss sofort hinzufügen, in welchem Sinne er Sozialist ist.“ (Helmut Gollwitzer http://www.brsd.de/historisch/31-warum-bin-ich-als-christ-sozialist-1980)


Vorbemerkung:
Dieser Standpunkt enthält viele Gedanken aus „kontrovers 01/2008, Beträge zur politischen Bildung“, Michael Brie und Christoph Spehr: „Was ist Sozialismus?“ herausgegeben von der Rosa Luxemburg Stiftung und WISSENTransfer (http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/kontrovers-0801.pdf)


Zunächst einmal: Was ist Sozialismus? Sozialismus ist eine politische Ideologie neben dem Liberalismus und dem Konservatismus. Doch wie kann man Sozialismus definieren? Man findet weder eine einheitliche noch eine einfache Definition. Sozialismus lässt sich vieleicht am ehesten als eine umfassende historische Suchbewegung definieren mit dem Ziel, (und jetzt wird’s ein wenig kniffelig) durch die solidarische Entwicklung aller eine freie Entwicklung der einzelnen Menschen zu ermöglichen. Das klingt widersprüchlich ist es aber nur scheinbar, doch steckt dahinter die Überzeugung, dass nur eine solidarische Gesellschaft eine freie Entwicklung der Einzelnen möglich macht. Es stellen sich natürlich auch die folgende Fragen: Wann wird das Bemühen um Gleichheit zur Unterdrückung? Wann wird Freiheitsstreben zur Ausbeutung anderer?


Moderner Sozialismus ist nicht mehr auf die Arbeiterbewegung fixiert sondern bezieht sich auf alle Ausbeutungs-, Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse (Mann-Frau-Gleichberechtigung, Ökologie, Pazifissmus, Antirassismus). Eine Einheit kann es nur unter Bewahrung der Vielfalt geben, also eine Einheit, die Vielfalt ermöglicht. Fortschritte in Richtung einer sozialistischen Gesellschaft erwachsen aus einer Stärkung der Selbstbestimmung gesellschaftlicher Gruppen und Individuen auf Basis eines freieren Zugangs zu wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Ressourcen und gleichzeitiger Stärkung solidarischer Formen der Selbstverwaltung. Daraus erwächst eine höhere Verantwortung aller, die Bedingungen dafür zu schaffen. Öffentliche Kontrolle, Umverteilung und handlungsfähige öffentliche Bereiche (Netzwerke, Dienstleistungen, öffentliches Bildungssystem...) werden als Voraussetzung für Selbstbestimmung und Selbstverwaltung gesehen.


In der heutigen Wirtschaft ist die Arbeitskraft vieler Menschen wie alle anderen Ressourcen zur Ware geworden. Das Überleben von Unternehmen hängt davon ab, preiswerter oder innovativer als andere zu sein. Dies zwingt zur ständigen Veränderung. Diese Veränderung hat zwei Grundbedingungen: Erstens die freie Verfügbarkeit von Ressourcen und zweitens den Wettbewerb um die effizienteste Nutzung. Zur Grundauffassung des Sozialismus gehört, die Verfügung über Ressourcen einer gesellschaftlichen (=demokratische) Kontrolle zu unterwerfen. Durch Mitbestimmung, Planung und Kontrolle soll die Verselbständigung der Gewalten als Kapitalmacht, Staat, Militär oder Ideologie verhindert werden. Weiterhin gehört es zur Grundauffassung des Sozialismus, dass Kooperation und nicht Konkurrenz die Grundform des Zusammenwirkens einer Gesellschaft darstellen soll.


Das heutige Wirtschaftssystem steht in einem krassen Widerspruch zu den Erfordernissen ökologischer Systeme. Das Prinzip der Gewinnmaximierung und des freien Wettbewerbs führt zur Ausbeutung nicht erneuerbarer Rohstoff- und Energiequellen. Der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft in geschlossenen Kreisläufen kann laut sozialistischem Verständnis nur gelingen, wenn die Dominanz der expansiven Kapitalverwertung überwunden wird und politische Entscheidungen an Kriterien der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit ausgerichtet werden.


Sozialismus sieht sich in der zivilisatorischen Aufgabe der Vertreibung der Gewalt aus der Gesellschaft: Verhinderung von Gewalt durch eine breite soziale Bewegung gegen Krieg und Einsatz für das Völkerrechts, Rechtstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Überwindung der sozialen Ursachen von Gewalt wie Armut, soziokulturelle Desintegration und agressive Kapitalmacht. Wandel von einer Kultur des grenzenlosen Expansionismus und der Ausrichtung auf Macht und Konsum, individueller Verlassenheit und Angst zur einer Kultur der schöpferischen Selbstverwirklichung und Solidarität.


Die Geschichte hat verschiedene einseitige Sozialismusvarianten hervorgebracht, die in ihrer Fehlform sozialistische Grundgedanken konterkarrieren und zu menschenverachtenden Systemen geführt haben. Demokratischer Sozialismus der Gegenwart betrachtet die Geschichte des Sozialismus kritisch und differenziert und wendet sich deutlich gegen eine Romantisierung und Verklärung des so genannten „real existierenden Sozialismus“ der DDR. Auch werden Stalin und co. ganz klar als das gesehen, was sie waren: Verbrecher an der Menschheit.


Demokratischer Sozialismus stülpt den Menschen nicht eine Theorie oder Lebensweise über. Er bezieht die Menschen auf breiter Ebene ein. Ein demokratischer Sozialismus kann nicht elitär am Reißbrett erfunden werden. Demokratischer Sozialismus meint nicht Verstaatlichung und Zentralismus sondern eine Einbeziehung der Mitglieder einer Gesellschaft in Verantwortung und Planung auf breiter Basis. Diktatorische, bevormundende Systeme wiedersprechen den sozialistischen Grundauffassungen.


Demokratischer Sozialismus verändert die Gesellschaft nicht durch revolutionäre Gewalt sondern durch Überzeugung, Mehrheitenfindung, Einsicht und gemeinsame Alternativenfindung. Manche vergleichen den Sozialismus des 21. Jahrhunderts mit einem Open-Source-Projekt aus dem Bereich Computersoftware: In einem demokratischen, gleichberechtigtem Miteinander wird die optimale Lösung gesucht und immer weiter entwickelt. Demokratischer Sozialismus ist nach meiner Überzeugung kein Übergangsstadium zum Kommunismus, den ich aufgrund der menschlichen Natur für eine Utopie halte. Der Sozialismus, für den die Linke steht, strebt nicht an, Privateigentum abzuschaffen. Ziel ist nicht eine egalitäre Gesellschaft sondern ein gleichberechtigtes Miteinander und die Stärkung des Individuums durch Teilhabe und Mitbestimmung.


Demokratischer Sozialismus bekämpft Unterdrückung, indem er Gegenmacht in Form von gesellschaftlicher Planung und Demokratisierung mobilisiert. Er bekämpft Ausgrenzung, indem er den Raum des Öffentlichen ausbaut und soziale Garantien gibt aber gleichzeitig Räume zur freien Selbstentfaltung eröffnet und absichert. Ziel ist dabei, Ausbeutung von Menschen, Natur und Zukunft abzubauen und den einzelnen Menschen Kontrolle über ihre unmittelbaren Lebensumstäünde und ihr soziales Umfeld zu ermöglichen. Das Ziel ist keine Gleichmacherei von oben sondern das Beseitigen von strukturellen Benachteiligungen.


Die herrschende Politik der Feindbilder stellt zunehmend die freiheitlichen Grundlagen unserer Gesellschaft und der Demokratie in Frage. Menschen und gesellschaftliche Gruppen werden gegeneinander ausgespielt. Der demokratische Sozialismus sieht dagegen die Notwendigkeit für einen neuen Gesellschaftsvertrag, der die Verantwortung von Gemeinschaft und Individuum neu austariert, die Verantwortung der Besitzenden für das Gemeinwohl deutlich macht und wieder dem Anspruch des Sozialen in der Marktwirtschaft entspricht. Demokratischer Sozialismus basiert auf einem Demokratieverständnis, dass weit über die Stimmabgabe bei Parlamentswahlen hinausgeht.


„Freiheit und soziale Sicherheit, Demokratie und Sozialismus bedingen einander. Gleichheit ohne individuelle Freiheit endet in Entmündigung und Fremdbestimmung. Freiheit ohne Gleichheit ist nur die Freiheit für die Reichen. Auch der Mensch ist nicht frei, der seine Mitmenschen unterdrückt und ausbeutet. Ziel des demokratischen Sozialismus, der den Kapitalismus in einem transformatorischen Prozess überwinden will, ist eine Gesellschaft, in der die Freiheit des anderen nicht die Grenze, sondern die Bedingung der eigenen Freiheit ist.“ (Programmatische Eckpunkte der Partei DIE LINKE http://die-linke.de/partei/dokumente/programm_der_partei_die_linke_programmatische_eckpunkte/i_gemeinsam_fuer_eine_andere_politik/)


„Die Eigentumsfrage als eine Grundfrage sozialistischer Bewegung ist für uns vor allem eine Frage der realen Verfügung über wirtschaftliche Machtressourcen [...] Entscheidend sind realer Inhalt und soziale Wirkung konkreter Eigentumsordnungen.Die Alternative zu kapitalistischem Eigentum besteht deshalb nicht im allumfassenden Staatseigentum, sondern in der demokratischen Entscheidung über gesellschaftliche Grundprozesse und über die Förderung jener Eigentumsformen, die es am ehesten erlauben, die menschlichen Grundgüter effizient bereitzustellen und gerecht zu verteilen. Alle Eigentumsformen - genossenschaftliche, kommunale, private, staatliche und andere -, die die natürlichen, sozialen und kulturellen Lebensgrundlagen entwickeln und den Zugang zu den Grundbedingungen menschlichen Lebens erleichtern, müssen gefördert, andere, die Lebensgrundlagen untergraben, vernichten und diesen Zugang erschweren oder verhindern, müssen zurückgedrängt und überwunden werden. [...] Demokratischer Sozialismus entsteht in der Gesellschaft und aus ihr heraus – oder überhaupt nicht. Er misslingt als isoliertes Projekt kleiner Gruppen gleichermaßen wie als Diktatur. […] Demokratischer Sozialismus weist über den Kapitalismus hinaus. Er ist ein Prozess, der nur im breiten gesellschaftlichen Diskurs und durch gemeinsames Handeln der Beteiligten Gestalt annehmen kann.“ (Chemnitzer Programm der PDS von 2003 http://archiv2007.sozialisten.de/partei/dokumente/programm/view_html?zid=28091&bs=1&n=3)


(V. Ammer)

 

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